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Kurt Flasch: Warum ich kein Christ bin. Bericht und Argumentation.

C.H. Beck, München. 280 S., 19,95 €.

Glaube steht gegen Vernunft: Kurt Flasch schlägt die christlichen Traditionalisten mit ihren eigenen Waffen

Rezension von Matthias Kamann, Die Welt, 31.08.13

Der neuen Rechtgläubigkeit hätte nichts Schlimmeres passieren können als dieses Buch. Niemand hätte die christliche Traditionalistenfraktion um Joseph Ratzinger überzeugender abfertigen können als Kurt Flasch. Denn dieser hochgelehrte Philosoph und Historiker nimmt die Neodogmatiker beim Wort. Das setzt sie schachmatt: dass Flasch ihren Argumentationen folgt.

Flasch folgt ihnen schon dort, wo er ein Wischiwaschi-Christentum zurückweist. Er spottet über Eugen Drewermann und Anselm Grün, die "auf den Wiesen der Seelenkunde grasen". Wenig hält Flasch auch von jenen, die den biblischen Schwulenhass durch Metaphorisierung entschärfen wollen. Wer die Bibel nur bildlich verstehen und damit ins Sanfte transferieren wolle, so Flasch, "kommt mir vor wie ein freundlicher und sensibler junger Mann, der aus Familiengründen in einen Anglerverein geraten ist, der dann aber seine Sympathie für die Fische entdeckt und vorschlägt, der Anglerverein soll sich in Zukunft mit dem Häkeln von Tischdecken statt mit dem Töten von Fischen beschäftigen".

Nein, über die christliche Religion lasse sich nur reden, wenn man sich auf den strengen Wahrheitsanspruch der Christen einlasse: "Da ihr Gott der einzige Gott sein soll, muss er es für alle sein", schreibt Flasch. "Und was sie als sein Wort verkünden, soll für alle gelten. Weil wahr ist, was sie sagen, muss es für alle wahr sein." Hierdurch fühlt sich Flasch herausgefordert. In der Überzeugung, "ich sei für meine Ansichten verantwortlich", fragt er, ob er das Verkündete für wahr halten kann. Schon seit Jahrzehnten – gestützt auf stupende Kenntnisse in Kirchengeschichte, mittelalterlicher Theologie und antiker Philosophie – hat Flasch, auch in Gesprächen mit Ratzinger, die römisch-katholischen wie reformatorischen Lehren geprüft. Und jetzt, mit 83 Jahren, legt er auf 280 Seiten seine Gründe dar, "warum ich kein Christ bin".

Bitter für die Glaubensverteidiger ist dabei, dass Flasch weder als religionsfeindlicher Atheist abgetan werden kann – mit Hochachtung spricht er von den Leistungen des Christentums – noch als jemand, der aus persönlichen Gründen den Glauben verweigert. "Ich spreche nicht aus dem Ressentiment des Kirchengeschädigten", betont er und beschreibt eingangs, wie sehr der liberale Mainzer Katholizismus seiner Herkunft den Nazis widerstand, wie anregend christliche Lehrer den kleinen Kurt an Philosophie und Religion herangeführt haben. Keine Spur von Kinderschändern, Salbaderern oder Vernagelten.

Statt dessen scheinen ihm bemühte Theologen begegnet zu sein, die ihm nicht erklären konnten, wie sich etwa die historisch-kritische Methode zur Rekonstruktion der biblischen Überlieferung vereinbaren lässt mit der "kanonischen Exegese", bei der die Texte dann doch auf den Nenner einer in sich schlüssigen Botschaft gebracht werden sollen. Sarkastisch zerpflückt Flasch die Unplausibilitäten der Schöpfungsgeschichten, der Lehre von der unsterblichen Seele, der Jungfrauengeburt, der Trinitätslehre – sowie die Theologen-Versuche, da Stimmigkeit hineinzubringen.

Humorig kommentiert er die widersprüchlichen Oster-Zeugnisse, wo sich zwischen den Evangelien dramatische Differenzen bei der Frage ergeben, wer wie und wo den Auferstandenen gesehen haben könnte: "Wäre ich der zuständige Polizeikommissar gewesen mit dem Auftrag, das Verschwinden der Leiche eines prominenten Mannes aufzuklären, wäre ich zu dem Ergebnis gekommen, das sei bei diesen Zeugenaussagen unmöglich." Überaus ernst aber fragt Flasch dann, warum einerseits im katholischen "Lexikon für Theologie und Kirche" von 1993 zu lesen ist, dass die Auferstehung "keine beweisbare Tatsache" sei, andererseits beide Kirchen die Tatsächlichkeit der Auferstehung aber zur Glaubensgrundlage erklären.

Ungereimtheiten findet Flasch auch bei der Geschichte vom brennenden Dornbusch, in dem Gott dem Moses erscheint. Mit dieser Erzählung hat sich Joseph Ratzinger in seiner "Einführung in das Christentum" eingehend befasst. Dabei, so Flasch, gebe Ratzinger zunächst zu, dass Gottes Selbstbezeichnung (landläufig falsch übersetzt mit "ich bin, der ich bin") nur im Sinne einer helfenden Nähe durch einen Stammesgott, nicht aber universal als das Sein selbst verstanden werden könne. Doch dies, so Flasch, bleibe bei Ratzinger "folgenlos", weil Ratzinger dann doch darauf bestehe, dass Gott hier das ganze Sein umfasse. Genüsslich weist Flasch Ratzinger die Willkürlichkeiten und Inkonsistenzen der Argumentationshumpelei vom Wüstengott zu platonischen Gottesideen nach.

Als Benedikt XVI, das muss man nach der Lektüre von Flaschs Buch so sagen, hat Ratzinger großes Unheil angerichtet durch die Behauptung, es könne im Christentum eine Einheit von Religion und Philosophie geben. Denn Flasch, der gescheite Philosoph, vermag zu zeigen, dass es diese Einheit nicht gibt, dass der Gott der antiken Philosophen ein ganz anderer ist als der des Christentums. Der Gott der Philosophen (den Flasch nicht verteidigt) sei nicht zornig, brauche keine "ewige Lobhudelei", sei auch "blutlos".

Dies hingegen könne man vom biblischen Gott nicht behaupten, wofür Flasch unter anderem Gottes Gewalttaten gegenüber den Ägyptern sowie die Kreuzigung anführt. Entsprechend harsch kritisiert Flasch Ratzingers Lieblingskirchenvater Augustinus, weil dieser das Konzept von der Erbsünde – Flasch spricht vom "Ungedanken vererbbarer Schuld" – mit einem "Restplatonismus" der Philosophie in haarsträubender Gewaltsamkeit verbunden habe.

Weist Flasch somit die These von der philosophischen Plausibilität des Christentums zurück – was für ernsthafte Philosophen erst recht seit Kant gelten müsse –, so wehrt er sich zugleich gegen neuere Versuche, den Glauben ohne Philosophie zu erlangen, ihn also durch reine Entscheidung zu gewinnen, ihn als Abenteuer zu verstehen oder als Sprung. "Wer springt, möchte doch wissen, wohin er springt und warum er das tun soll", antwortet Flasch kühl auf solche Vorschläge. Man lande "im gedanklichen Fiasko", wenn man sich heute noch der Theologie von Erbsünde, Hölle und Erlösung hingebe. Um den Sinn des Lebens zu begreifen, brauche man den Glauben auch nicht: "Mein Leben ist nicht sinnlos", schreibt Kurt Flasch. Er lebe und arbeite "in Heiterkeit".

Aber die Ethik? Flasch winkt ab. Die Zehn Gebote seien bloße Rechtsvorschriften, wie es sie auch bei anderen Völkern gebe. "Um Gesetze oder Rechtsregeln handelt es sich durchweg", das Ethische habe damals "noch keine Selbstständigkeit entwickelt".

Eigenartig aber, wie Flasch dann die Bergpredigt abkanzelt. Diese sei in Erwartung des nahen Weltendes gesprochen worden und könne, weil sich Jesus getäuscht habe, "nicht ohne neue Prüfung der ethischen Orientierung dienen". Die Ethik der Bergpredigt sacke "zu Utopie zusammen". Das ist schwach und zeugt von einem bei diesem Religionskenner erstaunlichen Unverständnis für religiöse Sprache.

Denn diese vermag doch ins Ausbleibende, Unsichtbare hinein zu reden – und damit etwas zu bewegen. Nicht nur ethisch, sondern auch beim Gottesbild. Flasch unterschlägt völlig, dass Gott schon im Alten Testament nicht nur zürnt, sondern sich auch wandelt, weil ihm die Menschen in ihrer religiösen Gegenrede etwas abtrotzen, Bundschlüsse, Straferlasse, die Preisgabe seines Sohnes.

Ein klein wenig Gespür für diese konstruktive, die Religion erschaffende Kraft der Glaubenssprache gibt Flasch zu erkennen, wenn er Sympathie für bewegende biblische Geschichten oder Heiligenlegenden bekundet. Ein "poetisches Wahrheitskonzept" will Flasch da gelten lassen, ein Verständnis von Worten, "die bewirken, was sie sagen", was Flasch auch beim Sprechen von Liebenden findet.

Eine wichtige Spur: So hat unlängst Bruno Latour in seinem wundervollen Buch "Jubilieren" (Suhrkamp) die Kraft religiösen Sprechens aus dem Geist der Liebenden gegen die Glauben-Nichtglauben-Festlegungen beschworen. Schade, dass Flasch darauf nicht näher eingeht. Gut aber, dass er jene abserviert, die durch unplausible Dogmen-Konservierung davon abhalten, jene Sprachkraft zu entdecken.